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Bildungssystem Schweiz: Was ergibt die Summe seiner Einzelteile?

06.09.2022

Die Co-Leiter von IDES berichten über die Herausforderung, das föderal organisierte Bildungssystem Schweiz als Ganzes und mit seinen kantonalen und sprachregionalen Ausprägungen zu beschreiben.

Ist Homeschooling in der Schweiz erlaubt? Wer eine solche Frage zum Bildungssystem Schweiz nicht mit «das ist von Kanton zu Kanton verschieden» beantworten will, ist auf detailliertes Wissen zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der kantonalen Schulsysteme angewiesen.

Michel Rohrbach (links) und Alexander Gerlings (rechts), Co-Leiter der Fachagentur IDES
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Autoren: Michel Rohrbach (links) und Alexander Gerlings (rechts), Co-Leiter der Fachagentur IDES

Das Informations- und Dokumentationszentrum IDES hat unter anderem den Auftrag, Informationen zum Bildungssystem Schweiz und seinen kantonalen sowie sprachregionalen Ausprägungen bereitzustellen. In Erfüllung dieses Auftrags stellt IDES regelmässig aktualisierte Informationsquellen zur Verfügung. Verwiesen sei etwa auf die Website Bildungssystem Schweiz, die Grafiken zu den kantonalen Schulstrukturen oder die Resultate der Kantonsumfrage. Die Dienste von IDES sind immer dann gefragt, wenn es darum geht, spezifische Fragen zum Bildungswesen Schweiz aus dem In- und Ausland zu beantworten, so z. B. im Rahmen des europäischen Bildungsnetzwerks Eurydice.

Umrisse von Schülerinnen und Schüler in rot, rechts daneben steht "Bildungssystem Schweiz"
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Das Problem
In den Eurydice-Fragebogen steht jeweils folgende Anweisung: «Whenever possible, Germany, Spain and Switzerland should provide information on official documents issued at federal or national level. In case such documents are issued at lower public authority level, they are invited to report on up to three Länder, Autonomous Communities or language regions/cantons. They should be the ones considered as the most representative in relation to the topic addressed». Es ist nicht schwierig zu erraten, warum diese drei Länder namentlich genannt werden. Im Unterschied zu zentral gesteuerten Systemen müssen die unter Umständen recht heterogenen Sachverhalte in den Gliedstaaten der dezentral aufgestellten Systeme auf einen gemeinsamen nationalen Nenner gebracht werden. Wie kann man verhindern, dass man die Quadratur des Kreises suchen muss?

Die Lösungsansätze
Um diese Aufgabe meistern zu können, sind zwei sich gegenseitig ergänzende Wissensbestände nötig: Das Bildungssystem Schweiz als Ganzes kann nur allgemeingültig und in überschaubarem Umfang beschrieben werden, wenn man von gewissen kantonalen und/oder sprachregionalen Eigenheiten absieht. Das setzt allerdings voraus, dass man weiss, was eine kantonale/sprachregionale Besonderheit ist und was national einheitlich geregelt oder zumindest harmonisiert ist. Ist Letzteres der Fall bei einer spezifischen Fragestellung, ist die Antwort meist rasch und in präziser Form zur Hand. 

Komplizierter wird es, wenn eine nationale oder interkantonale Vorgabe fehlt. Dann werden die kantonalen oder allenfalls sprachregionalen Ausprägungen in ihrer Summe konstitutiv für das Gesamtsystem. Geht es um statistische Angaben kann man sich z. B. mit Durchschnittwerten behelfen. Bei strukturell-inhaltlich unterschiedlich geregelten Sachverhalten hingegen stehen wir vor der Aufgabe, zu eruieren, ob es unter den Kantonen ein Mehrheitsmodell gibt, das die Situation in der Gesamtschweiz möglichst repräsentativ wiedergibt. Diese Vorgehensweise wird z. B. angewandt bei der Aussage, dass die Sekundarstufe I in der Schweiz drei Jahre dauert – und dabei nolens volens die vierjährige «scuola media» des Kantons Tessin unterschlägt.

Bei anderen Fragen, z. B. zu Lehrplaninhalten, muss die Repräsentativität in der Regel schon deutlich stärker eingeschränkt werden. So wurde für den jüngsten Eurydice-Bericht zum Unterricht in Mathematik und Naturwissenschaften nur der Lehrplan 21 berücksichtigt, weil insbesondere der naturwissenschaftliche Unterricht in den sprachregionalen Lehrplänen der obligatorischen Schule in verschiedenen Fächerstrukturen angeboten wird. Manchmal müssen wir trotz aller Bemühungen gänzlich darauf verzichten, eine allgemeine Aussage zur Situation in der Schweiz zu machen, weil sich schlicht kein zufriedenstellender gemeinsamer Nenner finden lässt. Oder wie würden Sie in der gebotenen Kürze z. B. die Frage beantworten, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Homeschooling in der Schweiz erlaubt ist?

Screenshot der Website Eurydice
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Die Antwortvariante «missing» versuchen wir indes wenn immer möglich zu vermeiden, weil sie andeutet, die Schweiz habe keinerlei Vorgaben oder bildungspolitische Strategien in einem bestimmten Themenbereich. Das kommt selbstverständlich vor. Häufig aber ist die fehlende Antwort nur darauf zurückzuführen, dass unter den je kantonalen Lösungen kein offensichtlich dominantes Modell hervorsticht. Die von Eurydice vorgeschlagene Lösung, exemplarisch bis zu drei Kantone heranzuziehen, ist für die Schweiz mit ihren 26 Kantonen und vier Sprachregionen keine valable Option. Im nationalen Kontext ist IDES bestrebt, die jeweils kantonalen rechtlichen Grundlagen zu verschiedenen Themen zu dokumentieren, zum Beispiel in den IDES-Dossier.

Das Ergebnis
Man mag jetzt einwenden, dass diese Schwierigkeiten und der erhöhte Aufwand bei der Datensammlung und -auswertung einmal mehr dem viel bemühten Flickenteppich geschuldet sind. Das ist zwar nicht falsch, aber wer sich länger mit dem Bildungssystem Schweiz auseinandersetzt, sieht auch den Reichtum und die Anpassungsfähigkeit eines bunt schillernden Gebildes, das die unterschiedlichen Farben und Texturen seiner Umgebung aufnimmt und nicht der Versuchung erliegt, die ganze Palette der kantonalen und sprachregionalen Bedürfnisse und Realitäten mit einem einfarbigen Konzept einzufangen. Die Herausforderung, das Bildungssystem Schweiz – bei aller Notwendigkeit der Vereinfachung – auch in seiner Vielfalt zu beschreiben, nehmen wir deshalb gerne an.

Möchten Sie etwas zu dem Thema sagen? Oder haben Sie generell Inputs zum Blog? Schreiben Sie uns per, wir freuen uns über Ihre Rückmeldung.

Weitere Informationen.

Kontakt

Generalsekretariat der EDK
+41 31 309 51 11

 

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